Seit November 2022 hat es jeder gemerkt: Die Kosten für tiermedizinische Behandlungen sind deutlich gestiegen, vor allem im Bereich der Operationen und Narkosen.
Aber warum ist das so? Wie setzt sich der Preis für eine Narkose zusammen?
Die Idee zu diesem Artikel kam mir, als ich die Reaktion eines Tierhalters an der Anmeldung als er nach den Kosten für eine Zahnsanierung fragte mitbekam: Was??? SO teuer? Der Kollege macht das für unter 200€!
OK, hier gilt es mal wieder Einiges zu erklären und zu klären.
Zum einen gibt es die GOT- Gebührenordnung für Tierärzte . Diese ist geltendes Bundesgesetz und gibt Tierärzten den Rahmen vor, wie hoch tierätrztliche Leistungen mindestens abgerechnet werden müssen.
Weiterhin gibt es sogenannte VAINS Leitlinien zur Durchführung von Narkosen in der Kleintierpraxis (Für Interessierte ist hier der Link). Leitlinien sind immer hilfreich, geben sie uns praktizierenden Tierärzten eine Handlungsempfehlung und Rechtssicherheit solange wir uns daran halten. Schließlich stehen hinter Leitlinien in ihrem Gebiet anerkannte tiermedizinische Fachspezialisten- in diesem Fall auf dem Gebiet der Anästhesie.
Was steht darin?
Grob gesagt: Mindestvoraussetzung um eine Narkose in der eigenen Praxis durchführen zu können ist die Möglichkeit einen Venenzugang zu legen und Sauerstoff zu verabreichen am Besten über einen endotrachealen Tubus („Schlauch in der Luftröhre“).
Wohlgemerkt, das sind absolute Mindestanforderungen! Und immer noch werden reihenweise Patienten operiert, die nicht mal einen venösen Zugang haben. Wenn es bei solchen Fällen zu einem Narkosezwischenfall kommt, bis man den Zwischenfall bemerkt, dann einen Zugang legt und die Medikamente gibt, das dauert definitiv zu lang (ich unterstelle jetzt einfach mal: wer nicht mal einen venösen Zugang legt wird selten hochausgebildeten Fachkräfte und vermutlich keine apparative Ausstattung zur Überwachung des Patienten haben, dementsprechend wird ein Narkosezwischenfall vermutlich erst sehr spät bemerkt).
Weiterhin sollte mindestens eine geschulte Person die nichts anderes zu tun hat als den Patienten zu überwachen eben genau das tun! Die Sauerstoffsättigung sollte mindestens mittels Pulsoxymetrie und das Herz mittels EKG überwacht werden, der in der Narkose auftretende Verlust der Körperwärme sollte mit geeigneten Maßnahmen verhindert werden, eine Infusion sollte verabreicht werden können, Medikamente für den Notfall sollten bereit gehalten werden. Optimalerweise sollte ein Patient intubiert sein und mittels Kapnographen überwacht werden.
Das Ganze sollte im mind. 10 minütigen Abstand protokolliert werden. Und dazu braucht es fachkundiges Personal, denn die Person, die die oben genannte Kontrolle des Patienten durchführt sollte eben nicht gleichzeitig der Operateur sein. Sprich: mindestens 2 (geschulte!!!) Personen sollten sich bei einem narkotisierten Patienten befinden.
Wie führen wir Narkosen in unserer Praxis durch?
Bei uns hat jeder Patient (auch Kaninchen!) mindestens einen venösen Zugang, und ist intubiert. Lediglich bei jungen, gesunden Patienten und Eingriffen unter 5 Minuten (Standardbeispiel ist hier die Kastration eines jungen und gesunden Katers) wird nicht immer intubiert, allerdings wird mindestens Sauerstoff über die Maske gegeben und ein Tubus in der richtigen Größe liegt für den Fall der Fälle griffbereit.
Jeder Patient hat mindestens eine speziell geschulte Person, die nichts anderes zu tun hat, als den Patienten zu überwachen. Meist sind es sogar 2 Helferinnen (eine erfahrene, eine etwas unerfahrenere die noch lernen und üben muss), die den Patienten keinen Moment aus den Augen lassen und Alles protokollieren.
Die Patienten sind alle mindestens mittels Pulsoxymeter und EKG sowie Blutdruckmessung überwacht. Intubierte Patienten werden selbstverständlich mittels Kapnographie überwacht, die Körpertemperatur wird im 5-10 Minuten Rhythmus überwacht und mittels verschiedenster umfangreicher Maßnahmen einer Unterkühlung gegengesteuert (z.B. Warmluftsystem, Infusionswärmer, WarmPacks, Babyinkubator für die Aufwachphase bei kleineren Patienten).
Die Patienten bekommen zur Unterstützung des Kreislaufes Infusionen, bei kleinen Patienten verabreichen wir diese wegen der oftmals geringen Mengen an Flüssigkeit mittels Infusionsgerät oder Perfusor.
Überwachung in der Aufwachphase
Die Aufwachphase ist die Phase, in der 50% aller Komplikationen auftreten. Deswegen bleibt die überwachende Person natürlich auch nach dem Eingriff zur Überwachung bei ihrem Patienten.
Das erfordert also Einiges an apparativem und Personellem Aufwand- und das ist nur die Narkose! Da ist vom eigentlichen Eingriff (Operation, Zahnreinigung, Zahnextraktion oder was sonst geplant ist) noch nichts passiert!
Da wir in unserer Praxis eine OP-Vorbereitung und einen sterilen Reinraum-OP haben, sind alle Geräte mindestens doppelt vorhanden.
Das gesamte Team hat regelmäßig Schulungen zur Narkosedurchführung und -überwachung zur Steigerung der Narkosesicherheit für unsere Patienten.
Das Alles ist natürlich Eines: personal- und geräteintensiv und damit teuer! Aber: Das ist das, was die derzeit anerkannte beste Sicherheit für unsere Narkosepatienten bietet.
Denn wie sagt Dr. René Dörfelt (Anästhesist und Notfallmediziner der Kleintieruniversitätsklinik München): Die Narkose ist eine von uns herbeigeführte -hoffentlich- reversible Vergiftung des Gehirns.
Und da müssen wir die größtmögliche Sorgfalt walten lassen.
Denn auch wenn die Risiken im Promillebereich liegen: Niemand von uns will einem Tierbesitzer nach einer geplanten Operation mitteilen müssen, dass es einen Narkosezwischenfall gab. Das ist für uns Tierärzte und unser Team eine Horrorvorstellung: ein ernsthafter Narkosezwischenfall. Aber wir sind geschult und trainieren auch den Ernstfall immer wieder, um als Team optimal reagieren zu können.
Gott sei Dank kommt es wirklich sehr sehr selten vor, vor allem wenn man bedenkt, dass gerade im Bereich der Tierzahnheilkunde den Großteil der Tiere vor Allem Alte und auch Hochrisikopatienten darstellen.
Unsere Narkose laufen in den Allermeisten Fällen gut- wir können die notwendigen Eingriffe durchführen und die Patienten wachen im Anschluss gut wieder auf. Und lieber brechen wir einen Eingriff ab, als die uns anvertrauten Vierbeiner einem zu hohen Risiko auszusetzen.
Das lässt sich mit Sicherheit auf den hohen Aufwand zurückführen, den wir in einer Narkose betreiben. Wobei: hoch? In der Humanmedizin ist das absoluter Standard.
Es gibt sicherlich auch tierärztliche Kollegen die sagen: Ob das Tier schnauft, oder nicht, das kann auch z.B. ein Schülerpraktikant gucken. Da brauche ich kein Equipment oder eine TFA dazu. Das hat mit der hochkomplexen Durchführung einer modernen Narkose absolut Nichts, aber auch gar nichts zu tun!
Und auch im Jahr 2024 gibt es Tierärzte die komplett alleine mit ihrem Patienten sind- als Operateur und Anästhesist in einer Person. Wie das funktionieren soll, den Patienten zu überwachen, wenn man gleichzeitig steril operiert, bleibt deren Geheimnis.
Deren Preis für eine Narkose ist dann aber natürlich deutlich günstiger als der einer Praxis die derart hohe Standards anlegt wie wir. Da muss man als Tierbesitzer für den günstigeren Preis dann aber auch eine kaum vorhandene und nicht den Mindestanforderungen entsprechende Anästhesieüberwachung in Kauf nehmen.
Dass die Narkosesicherheit und die Überwachung Ihres Vierbeiners ein hochkomplexes Thema sind das hohe Anforderungen an die apparative Ausstattung der Praxis und vor allem die Ausbildung und das Wissen der Mitarbeiter stellt, ist offensichtlich.
Wir machen es wie oben beschrieben, mit dem ganzen Aufwand und den dadurch für Sie entstehenden Kosten, es dient aber letztlich nur der Sicherheit unserer Patienten.
Sollten Sie dazu noch Fragen haben, sprechen Sie uns an!
Dr. Judith Lubjuhn-Fischer, Michelstadt
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